Mich nutzen immer alle aus – das heißt doch nur: Menschen gaben Ihnen eine Gelegenheit, etwas zu geben. Sie haben das nicht als ein Privileg oder ein Vorrecht aufgefasst. Sie haben dies völlig falsch verstanden. Solange Sie sich darüber beklagen, dass man Sie ausgenutzt hat, haben Sie die Freude des Gebens nicht richtig verstanden. Geben, wenn Sie es richtig verstehen. Wenn mühsam jemand etwas aus Ihnen herausnuckeln muss, weil Sie nicht gerne geben, dann trifft das Gesagte nicht zu. Aber wenn Sie richtig geben, heißt das, dass Sie einem Mitmenschen helfen und aufbauen dürfen. Sie dürfen einen Mitmenschen auf seinen Weg bringen. Sie säen also. Wichtig ist allerdings die Saatqualität. Ob die Saat aufgeht und Früchte trägt, entscheidet sich nur an der Frage, wie Sie geben. Also welche innere Haltung haben Sie, wenn Sie etwas geben? Hierzu ist logischerweise von entscheidender Bedeutung, wem Sie etwas geben. Meine vorangegangenen Worte sollen nicht aussagen, sinnlos und wahllos jemanden etwas zu geben oder zu schenken. Wenn Sie Menschen nicht endend etwas geben, die sowieso nur bei Ihnen abzocken oder auf Ihre Kosten leben wollen, werden Sie sich missbraucht und ausgenutzt fühlen. Es wird eine innere Unzufriedenheit und Wut entstehen. Menschen, die Sie ausnutzen und immer nur von Ihnen Geschenke und sonstige Leistungen kostenlos haben wollen, sind Narzissten, die immer nur an ihr eigenes Wohlbefinden denken. Solche Menschen haben nur eine Lebenseinstellung, nämlich auf Kosten anderer zu leben und auf unbestimmte Zeit finanzielle wie auch sachwertbezogene Dinge abzuzocken. Einen Dank werden Sie von solchen Menschen nie bekommen. Solche Leute kennen keine Revanche. Das Geben ist also nur einseitig. Und wenn bei Ihnen nichts mehr zu holen ist, Sie vielleicht sogar arm geworden sind und nun selbst finanzielle Sorgen haben, werden die Abzocker Sie kurzerhand fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Diese armseligen Kreaturen werden sich das nächste Opfer suchen, bei denen sie das Gib-mir-Spiel aufs Neue beginnen. Und Sie als ehrlicher und korrekter Mensch stehen vor den Trümmern zerbrochener Hoffnungen und verstehen nicht, warum solche Mitmenschen derart undankbar sind. Bitte versuchen Sie zu Beginn einer freundschaftlichen oder sonstigen Beziehung zu testen, ob es ihre neuen Bekannten ehrlich meinen. Zum Beispiel: Sie haben einen vierbeinigen Freund als Haustier. Wenn die Mitmenschen gelegentlich eine kleine Packung Leckerli für Ihren Hund mitbringen, Ihnen auch einmal einen Blumenstrauß oder eine Schachtel Pralinen übergeben oder Sie zum Grillen einladen oder zu einem Kinobesuch – dann wäre das zumindest ein zwar nicht hundertprozentiger Beweis, dass Sie Mitmenschen begegnet sind, die Ihr Geben zu würdigen und schätzen wissen. Sie zeigen Ihnen, dass man Sie wertschätzt. Sobald Sie aber erkennen, dass das Geben nur einseitig ist und die anderen nur die Leistungsempfänger sind, müssen Sie sofort jegliche Beziehung zu solchen Menschen beenden, um für sich selbst gravierende Folgen zu vermeiden.
Absolut verständlich: Sie sind tief enttäuscht. Schauen Sie sich doch einmal das Wort „enttäuscht“ auf eine entlarvende Weise an. Sie sind enttäuscht, weil eine von Ihnen zu vertretende, von Ihnen aufgebaute Täuschung angefochten wird. Sie müssen ein Sinndefizit auflösen. So schnell wie möglich.
Ein Beispiel: Sie sind der Meinung, Ihre Tochter müsste Ihnen doch dankbar sein, weil Sie ihr zehntausend Euro für ihre neue Wohnungseinrichtung gegeben haben. Aber die Tochter ist überhaupt nicht dankbar. Die macht eine Einweihungsparty und lädt Sie nicht ein, weil sie denkt: die Mama zerstört mir nur die Stimmung bei der Party mit ihrer mittelalterlichen Ausstrahlung. Naja, dann lade ich meine Mama nächste Woche ein, denkt die Tochter und Sie sitzen zuhause und bekommen Wutgedanken. Enttäuscht sein sollte bedeuten: Sie beginnen nun endlich eine Täuschung, unter der Sie leiden, zu durchschauen, also eine Täuschung zu beenden. Es ist ent-täuscht. Sie sind ent-täuscht.
Und Sie können sich bei dem, der Sie enttäuscht hat, bedanken dafür, dass er Ihnen geholfen hat, eine Täuschung zu beenden. Meistens sind es Strukturen, die nur Sie betreffen. Sie täuschten sich hinsichtlich der Auffassung, alles richtig zu machen und gerecht zu sein. Sie täuschten sich. Sie machten durchaus nicht alles richtig und Sie waren durchaus nicht gerecht. Sie haben den anderen Menschen durchaus nicht richtig gesehen. Sie waren falsch gepolt. Und nun können Sie sich richtig polen. Sie können die Täuschung beenden. In diesem Zusammenhang bitte ich Sie, dass Sie sich folgenden Satz ganz fest einprägen: „Das Leben ist, wenn wir alles selbst bestimmen, unendlich schwer. Doch würden wir es anderen Menschen überlassen, über unser Leben zu bestimmen, wird es unerträglich“.
Eine sinnverneinende Haltung zu durchschauen, ist also sehr wichtig. Wenn Sie sich die Frage stellen: Was haben Sie denn nun wirklich davon? Was haben Sie denn davon gehabt? Sicher ist es eine oberflächliche Frage. Ich habe manchmal das Gefühl, dass da eine gute Kraft ist, die will mir den Kopf zum Licht drehen und sie dreht und dreht und drückt und drückt und ich sage: „Ach, das tut aber weh, Mein Gott tut das weh“. Geh´ doch mal mit. Geh´ doch mal mit dieser Bewegung mit. Fragen Sie nicht, was nicht geschehen ist hinsichtlich Ihrer Erwartungen. Lassen Sie Ihre Erwartungen los und versuchen Sie einmal, feinnervig zu spüren, was die Schöpferabsicht von Ihnen erwartet, was Sie Ihnen geben will und Ihnen vielleicht schon gegeben hat. Es ist eine unselige Veranlagung, immer nur das zu sehen, was einem nicht gegeben wurde. Mit anderen Worten: Allein dadurch, dass Sie dieses Buch voller Neugierde lesen, beweist doch, dass Sie bereit sind, Ihren Kopf in die Richtung zum Licht zu drehen. Denn einiges in diesem Buch ist ja eine ziemliche Zumutung, denn es stößt vieles von dem, was selbstgerecht ist, vom Thron.
Vieles, was ein Leben lang ein existentes Programm war, wird nun in Frage gestellt. Vielleicht sind Verdienste gar nicht verdienstvoll. Vielleicht ist Recht gar nicht mehr Recht. Und trotzdem lesen Sie weiter. Trotzdem sind Sie bereit zu einer tiefgründigen Veränderung. Ich glaube, es ist gut, wenn wir nicht wissen, wie oft wir schon ähnliche Anläufe unternahmen und immer zwischendurch abbrachen. Wir wollten diese Veränderung nicht und gaben fadenscheinige Begründungen. Vielleicht sagten auch Sie: „Ich will mein Recht“, „Ich will so sein wie mein Bruder“, „Ich will so sein wie dieser Mann, wie diese Frau“, „Ich will, dass andere sich endlich auf mich einstellen“, „Ich will, dass das Leben mir gibt, was ich erwarte“ und so weiter. Alle diese Haltungen werden nun relativiert. Wir könnten es auch so betrachten: Sie erhalten zwar nicht, was Sie wollten. Sie erhalten mehr, als Sie wollten. Sie wollten vielleicht einen Krug voll Wasser und nun bekommen Sie eine Badewanne voller Champagner. In diesem Zusammenhang ist auch die sinnverneinende Haltung aufzuspüren und zu beenden. Es gilt, die bruchstückhafte Betrachtungsweise als eine Betrachtungsweise zu erkennen, die uns zu Eigen geworden ist. Wir Menschen schauen fast immer bruchstückhaft. Wir haben es noch nicht gelernt, die zusammenhängende Perspektive zu sehen. Wir verlieren aus dem Auge, was zusammenhängt, wenn wir auf das schauen, was uns jetzt interessiert. Wir sehen nicht das große Ganze. Wir sind wie Menschen, die ein Puzzlespiel zusammensetzen, während wir von dem Puzzlespiel ein Stück nehmen und es anschauen. So gehen wir fast jeden Tag durch unseren Alltag. Am schönsten würden wir glückerfüllt leben, wenn wir das große Ganze sehen. So ist der Mensch, der erfolgreich Puzzlespiele zusammensetzt. Das sind Leute, die die zusammenschauende Perspektive erkennen, nämlich das vorgedruckte ganze schöne Bild, das aus diesen vielen Bruchstücken, die da zerschnitten sind, zusammengesetzt werden soll.
Der Puzzlespieler kann sich also auf das Bild konzentrieren und hat es als ein ganzes im Kopf vor sich, während er auf die vielen Bruchstücke schaut. Wer das nicht kann, dessen Blick geht unentwegt von den Bruchstücken zu dem Bild, vom Bild zu den Bruchstücken, also hin und her. Und durch dieses immer wieder Umschalten fällt es ihm schwer, das Bild zusammenzusetzen. Wer also schnell solche Puzzlespiele zusammensetzen kann, der konzentriert sich auf das Vorlagenbild. Zum Beispiel: der Rosengarten mit dem Gartenzwerg. Und dann schaut er auf den Berg von Bruchstücken. Und dann sieht er, wo die Bruchstücke hingehören, weil er in seinem inneren Blick ständig das gesamte Bild sieht. Eben die zusammenschauende Perspektive. Übertragen auf uns „Wie finden wir zur zusammenschauenden Perspektive“ heißt das: indem ich mich erst einmal als Mensch zusammensetze, mich eben als Mensch verstehe, ist das fertige Bild greifbar. Und nicht nur als Bruchstück von Bedürfnissen. Ein Bedürfnis ist ein Bruchstück von Ihnen. Es hat nämlich einen Sinn. Als Bruchstück von Wünschen, von Erwartungen, von vorgefertigten Meinungen, Verhaltensweisen, Mustern - dies alles zusammenzufügen und zu verstehen, wer man eigentlich ist, führt auch dazu, dass wir die Welt, die Umwelt, den Mitmenschen verstehen.
Als Beispiel erzähle ich Ihnen eine kleine Geschichte:
Samstagvormittag. Papa ist zuhause mit seiner fünfjährigen Tochter. Mama ist auf dem Markt zum Einkaufen. Papa will endlich einmal in Ruhe seine Fachzeitung lesen. Die kleine Fünfjährige kommt und fragt:
„Papa, spielst du mit mir?
„Angelika, gehe zu deinem Puppenwagen und beschäftige dich selbst“, antwortet Papa kurz und sachlich. Nach zehn Minuten kommt die Kleine wieder, macht „zupf, zupf“ an Papas Hemdsärmel.
„Papa, spiele doch mit mir. Mit dir geht alles viel besser“.
Aber Papa will doch seine Fachzeitung lesen. Dann blättert er eine Seite in dem Journal um und sieht die Abbildung der Erde, worauf einige Kontinente zu erkennen sind. Papa hat die rettende Idee. Er nimmt die Schere, schneidet diese Erdscheibe aus der Zeitungsseite heraus, auf der die Welt von einer Seite abgebildet ist und sagt zu seiner Tochter: „Schau mal, das ist die Welt. Siehst du das?“
„Ja, Papa“. Und dann schneidet Papa die Weltkugel in lauter kleine Schnipsel, legt all die Schnipsel auf einen Haufen hin und sagt: „Setz´ das mal zusammen“ und denkt dabei, clever wie er ist: Angelika weiß doch nicht, wie Amerika aussieht, wie die Küstenlinie von Mittelamerika verläuft, wo Nordamerika liegt und Kanada. Bis die Kleine die Farben zusammengesetzt hat, habe ich in Ruhe meine Zeitung gelesen, Mutter ist wieder zuhause und kann sich um die Kleine kümmern. Aber siehe da: Nach zehn Minuten erneut „zupf, zupf“ am Hemdsärmel.
“Guck mal, Vati, ich bin fertig“. Und Papa guckt erstaunt. Südamerika, Mittelamerika, Kanada, Alaska – alles perfekt zusammengesetzt. Papa staunt und sagt verwundert:
„Sag´ mal, Angelika, wie hast du denn das geschafft?“
Darauf antwortet die Kleine recht selbstbewusst:
„Mmhhhmm, ich kenne nicht die Erdteile oder was du da verschnippelt hast. Aber während du das Bild zerschnitten hast, habe ich gesehen, dass auf der Rückseite ein Mensch abgebildet war. Menschen kenne ich gut. Ich habe einfach den Menschen zusammengesetzt. Und dann habe ich alles umgedreht. Dann hat die Erde auch gestimmt. Ist doch toll, Papa oder?“
Eine nette kleine Story, finden Sie nicht auch?
Setzen Sie den Menschen zusammen, den Sie am besten kennen (das sind Sie). Dann stimmt die Welt, in der Sie leben.
Quelle: Abdruck aus dem Buch "Öffne dieses Buch..." von Jayden T. Barrier, Fotos: Stefan Friedhoff