Stand: 27. Februar 2020
Das Coronavirus breitet sich in Deutschland aus – und mit ihm die Unsicherheit: Welche Pflichten haben Arbeitgeber jetzt? Welche Rechte die Arbeitnehmer? Die wichtigsten arbeitsrechtlichen Fragen.
Volker Görzel ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Gründungspartner von HMS.Barthelmeß Görzel Rechtsanwälte in Köln.
Zunächst sollten Arbeitgeber ihre Mitarbeiter darüber informieren, wie hoch das Risiko einer Infektion ist und wie sie sich vor dem Coronavirus schützen, empfiehlt Volker Görzel, Anwalt für Arbeitsrecht. Die aktuelle Risikobewertung und weitere Informationen zu Schutzmaßnahmen finden Arbeitgeber zum Beispiel auf der Informationsseite des Robert-Koch-Instituts.
Mit der reinen Information ist es allerdings nicht getan. „Was Arbeitgeber genau unternehmen müssen, ist zurzeit noch unklar, weil es für das, was wir momentan erleben, kein Beispiel gibt“, sagt Görzel. Es gelten jedoch die allgemeinen Grundsätze des Arbeitsschutzes (§ 4 Arbeitsschutzgesetz – ArbSchG). Zudem hat der Arbeitgeber eine Fürsorgepflicht. Laut § 618 BGB muss er alles dafür tun, damit Angestellte ihre Arbeit gefahrlos erledigen können. „Der Arbeitgeber muss also Maßnahmen treffen, damit sich Arbeitnehmer nicht am Arbeitsplatz anstecken. Dazu gehören auch Mundschutzmasken und Desinfektionsmittel vor allem in den sanitären Anlagen und an den Zugängen des Betriebes“, sagt Görzel.
Der Arbeitgeber hat ein Direktionsrecht, auch Weisungsrecht genannt. Um eine Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern, darf er darum Mitarbeiter dazu verpflichten, einen Mundschutz zu tragen und sich regelmäßig die Hände zu waschen oder zu desinfizieren. Diese Anweisungen sind laut Görzel in einer Situation wie der derzeitigen durch sein Direktionsrecht gedeckt.
„Gibt es einen Betriebsrat, so ist bei solchen Maßnahmen allerdings das Mitbestimmungsrecht zu berücksichtigen“, sagt Görzel (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 Betriebsverfassungsgesetz).
Dürfen Arbeitgeber bei einem Verdacht auf eine Corona-Infektion eine ärztliche Untersuchung des Mitarbeiters verlangen?
Das Direktionsrecht hat seine Grenzen: Der Arbeitgeber darf laut Görzel nicht massiv in das grundrechtlich geschützte Persönlichkeitsrecht oder in das Recht auf körperliche Unversehrtheit des Arbeitnehmers eingreifen. „Insbesondere wird der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer nicht verpflichten können, sich impfen zu lassen, sobald ein Impfstoff erhältlich ist“, sagt der Anwalt.
Auch einer Anordnung, sich ärztlich untersuchen zu lassen, müsse der Arbeitnehmer nicht nachkommen. „Ob ich krank bin oder nicht, ist eine private Sache“, erklärt der Arbeitsrechtler. Es gebe aber Ausnahmen. Zum Beispiel müssen sich Piloten einem psychologischen Test unterziehen.
Arbeitnehmer sind grundsätzlich dazu verpflichtet, sich umgehend beim Arbeitgeber krankzumelden. Die Art der Erkrankung müssen sie ihm hingegen nicht mitteilen.
„Da es sich bei dem Coronavirus aber um eine hochansteckende und gefährliche Krankheit handelt, wird man aus der allgemeinen arbeitsrechtlichen Treuepflicht herleiten können, dass Arbeitnehmer ausnahmsweise die Art ihrer Erkrankung mitteilen sollten oder sogar müssen“, sagt Görzel. Nur so könne der Arbeitgeber entsprechende Schutzmaßnahmen gegen die Verbreitung des Virus ergreifen.
Görzel empfiehlt Unternehmen, solche Punkte frühzeitig zu regeln, zum Beispiel als gesonderte Betriebsvereinbarung zu Infektionskrankheiten.
Wenn ein Mitarbeiter am Corona-Virus erkrankt ist oder der Verdacht besteht, rät Görzel, eng mit dem Gesundheitsamt zusammenzuarbeiten und Schutzmaßnahmen für die restliche Belegschaft zu ergreifen. Weisen auch andere Mitarbeiter Corona-Symptome (Husten, Schnupfen, Halskratzen und in manchen Fällen auch Durchfall) auf, sollten Arbeitgeber sie nach Hause schicken.
„Angst alleine rechtfertigt nicht, dass man zu Hause bleiben darf“, sagt Görzel. Liegt kein konkreter Verdacht auf eine Infektion eines Mitarbeiters vor, müssen Arbeitnehmer grundsätzlich im Unternehmen erscheinen – es sei denn, ein Arbeitgeber vereinbart mit seinen Mitarbeitern, dass sie im Homeoffice arbeiten dürfen.
Liegt dagegen ein Verdacht vor, dass ein Mitarbeiter sich mit dem Corona-Virus infiziert hat, sieht es anders aus: Bei einer konkreten Ansteckungsgefahr dürfen Arbeitnehmer von zu Hause arbeiten, wenn ihre Tätigkeit und ihre Wohnsituation das ermöglichen.
Achtung: „Ein Arbeitgeber darf die Arbeit im Homeoffice nicht anordnen“, sagt Görzel. „Das muss immer von beiden Seiten akzeptiert werden.“ Chefs dürfen Mitarbeiter zwar anweisen, zu Hause zu bleiben, müssen sie dann aber im Zweifel von ihrer Arbeitspflicht entbinden.
Verweigert ein Mitarbeiter aus Angst vor einer Ansteckung die Arbeit, obwohl kein Verdacht auf eine Infektion besteht, dürfen Chefs ihn Görzel zufolge abmahnen und im Wiederholungsfall verhaltensbedingt kündigen.
Normalerweise bekommen kranke und arbeitsunfähige Mitarbeiter eine Lohnfortzahlung. Besteht jedoch nur der Verdacht einer Infektion und ordnen die Behörden ein Beschäftigungsverbot oder eine Quarantäne an, haben sie keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung.
Lesen Sie dazu auch: Lohnfortzahlung im Krankheitsfall: Wer bekommt wie viel?
Die Arbeitnehmer erhalten stattdessen vom Staat eine Entschädigungszahlung. Die muss der Arbeitgeber zwar auszahlen, bekommt sie aber vom zuständigen Gesundheitsamt erstattet. Das ist im Infektionsschutzgesetz (§ 56 Abs. 1 IfSG) festgelegt.
Wie hoch ist diese Entschädigungszahlung? Für die ersten sechs Wochen wird sie in Höhe des Verdienstausfalls gewährt (§ 56 Abs. 2 IfSG). Ab der siebten Woche wird sie in Höhe des Krankengeldes gezahlt. Das Krankengeld beträgt 70 Prozent des Bruttoverdienstes, aber nicht mehr als 90 Prozent des Nettogehalts.
Auch Selbstständige bekommen eine Entschädigungszahlung. Sie beträgt ein Zwölftel des Arbeitseinkommens des letzten Jahres vor der Quarantäne. Laut § 56 Absatz 4 erhalten Selbständige, die einen Betrieb oder Praxis haben, zudem „von der zuständigen Behörde Ersatz der in dieser Zeit weiterlaufenden nicht gedeckten Betriebsausgaben in angemessenem Umfang“.
Schließen Schulen oder Kitas als Vorsichtsmaßnahme, haben Eltern Görzel zufolge Pech: Sie müssen für Ersatz für die Kinderbetreuung sorgen oder sich selbst kümmern, sich dafür Urlaub nehmen oder unbezahlt von der Arbeit freistellen lassen – genau wie bei einem Kita-Streik oder wenn Kitas oder Schulen wegen eines Sturms schließen.
Ist das Kind eines Mitarbeiters allerdings am Corona-Virus erkrankt, hat der Arbeitnehmer ein Recht darauf, zu Hause zu bleiben und sein Kind zu pflegen. Je nachdem, was im Vertrag steht, müssen Arbeitgeber ihm dann trotzdem weiter Gehalt zahlen oder die Krankenkasse springt ein.
Grundsätzlich darf ein Arbeitgeber im Zuge seines Weisungsrechts Dienstreisen anordnen. Seinem Weisungsrecht darf der Arbeitgeber laut Görzel jedoch nur nach billigem Ermessen nachkommen – er muss also sowohl seine Interessen als auch die seines Mitarbeiters berücksichtigen.
Das Auswärtige Amt rät derzeit von „nicht notwendigen Reisen in das übrige Staatsgebiet der Volksrepublik China mit Ausnahme der Sonderverwaltungszonen Hongkong und Macao“ ab. „Vor diesem Hintergrund wird eine Reise in die genannten Gebiete nicht mehr dem billigen Ermessen entsprechen und der Arbeitnehmer kann den Antritt der Dienstreise verweigern“, sagt Görzel.