Unter welchen Bedingungen Unternehmen jetzt mit Rückforderungen rechnen müssen – bei Soforthilfen, Überbrückungsgeldern und Grundsicherung. Und welche Strafen drohen.
Holger Kück ist stinksauer. Der Unternehmer fragt sich: „Hat Olaf Scholz, unser Bundesfinanzminister, gelogen?“ Kück hatte Ende März Corona-Soforthilfen beantragt. Wie viele Unternehmer verließ auch er sich auf das, was Scholz im März sagte: „Wir geben einen Zuschuss, es geht nicht um einen Kredit. Es muss also nichts zurückgezahlt werden.“ Doch als die Bezirksregierung Holger Kück im Nachhinein per Mail aufforderte, seinen Finanzierungsengpass zu belegen, da ahnte er: Auf das Minister-Wort scheint wohl kein Verlass zu sein.
Holger Kück ist Geschäftsführer eines Unternehmens, das in Sachen Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz berät. Die Schwesterfirma, in der er ebenfalls in der Geschäftsführung sitzt, bietet entsprechende Schulungen vor Ort an. „Die Leute wollten uns nicht im Haus haben. Sie hatten Angst, wir schleppen Corona ein“, erzählt Kück. Innerhalb von drei, vier Tagen brachen im Schulungsbereich alle Aufträge weg. Die Einnahmeausfälle lagen schnell im sechsstelligen Bereich.
Für den Herner Unternehmer war klar: Er steckte in Schwierigkeiten. Also vertraute er dem Bundesfinanzminister und füllte den Online-Antrag für die Soforthilfe aus. Zwei DIN-A4-Seiten mit Ja-/Nein-Fragen. Ein halbes Jahr später fragt er sich: War das ein Fehler? Eine Frage, die sich viele Unternehmer stellen. Sie fürchten Rückzahlungsforderungen und wollen nicht als Subventionsbetrüger dastehen.
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Als Olaf Scholz versprach, die Soforthilfe müsse nicht zurückgezahlt werden, ließ er das Kleingedruckte aus: Wer zu viel (Überkompensation) oder zu Unrecht Soforthilfe bekam, muss sie erstatten. Auf die Worte des Ministers können sich Unternehmer jedenfalls nicht berufen, wenn es um Rückforderungen geht. „Was zählt, ist das, was auf dem Antrag steht und nicht, was ein Politiker gesagt hat“, erklärt Susana Campos Nave, Fachanwältin für Strafrecht vom Beratungsunternehmen Rödl & Partner.
Waren viele Unternehmer also zu leichtsinnig, als sie den Antrag stellten? „Nein“, sagt Ralf Klein von der Steuerkanzlei FRTG. „Es gab ein zu großes Durcheinander bei den Informationen.“ Bund und Länder hätten sich teils widersprochen. Zum Beispiel bei der Frage zu den Lebenshaltungskosten. Nordrhein-Westfalen erlaubte etwa, die Hilfe auch zur Auszahlung eines individuellen Unternehmerlohns zu nutzen (jeweils 1000 Euro für die Monate April und März).
Der Bund hatte dagegen laut Klein etwas anderes vorgegeben: Wer für seinen Lebensunterhalt Geld brauche, solle Grundsicherung beantragen. Der Zugang dazu werde vereinfacht. „Dieses Hin und Her zwischen Bund und Ländern kann einem Unternehmer nicht zur Last gelegt werden“, sagt Betriebswirt Klein.
Strafrechtlerin Susana Campos Nave schätzt das ähnlich ein. Die Politik habe schnell handeln müssen: „Da wurde logischerweise vieles mit der heißen Nadel gestrickt. Manche Förderungsbedingungen waren nicht so exakt formuliert, wie sie es hätten sein müssen.“ Vielen war nicht 100-prozentig klar, ob sie berechtigt waren oder wofür sie die Hilfe nutzen durften.
Die unklaren Förderbedingungen sind nach Campos Naves Auffassung nur eines von zwei Hauptproblemen. Das zweite: die genaue Bestimmung der Liquidität. Unternehmer sollten in ihren Anträgen versichern, dass sie einen Engpass haben. „Es ist immer schwierig festzustellen, wie viel Liquidität gerade im Unternehmen vorhanden ist“, sagt die Rechtsanwältin. Vieles werde erst rückwirkend klar und ließe sich nicht – wie verlangt – an Tag X bestimmen.
Dass einiges an der Unternehmer-Realität vorbeiging, dämmerte auch den Ländern, als sie anfingen zu überprüfen, wer wirklich Anspruch auf die Soforthilfe hatte. Rückzahlungen drohten. Es hagelte Kritik: Viele Unternehmen fühlten sich zu Unrecht benachteiligt. Die Rückzahlungsverfahren wurden auf Eis gelegt, um sich zunächst mit dem Bund abzustimmen. Mitte August konnte NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart immerhin verkünden, dass man die „Anregungen“ ernst genommen habe und es nun „spürbare Verbesserungen“ gebe. Im Einzelnen geht es um diese Punkte:
NRW kündigte nach diesen Verbesserungen an, das sogenannte Rückmeldeverfahren vor dem 12. Oktober 2020 wieder aufzunehmen. Die Rückmeldefrist verlängerte das Land bis zum 30. November 2020. Eventuelle Rückzahlungen müssen bis zum 31. März 2021 erfolgen.
Die Frage ist nun: Gelten diese Nachbesserungen nur für NRW oder auch für andere Bundesländer? Dazu führe der Bund noch Gespräche mit den Ländern, eine Entscheidung sei noch nicht getroffen, teilte das Bundeswirtschaftsministerium auf Anfrage mit.
Was die Nachbesserungen zeigen: Einiges war im Bewilligungszeitraum nicht bis zu Ende gedacht. Doch Campos Nave warnt davor, das als Entschuldigung vorzuschieben – nach dem Motto „Ich habe das nicht richtig verstanden“. „Wem aufgrund der unklaren Formulierungen nicht klar war, ob oder in welcher Höhe er hilfeberechtigt war, hätte sich an die Behörde wenden und nachhaken können“, sagt die Juristin.
Und diejenigen, die in der dramatischen Lage nach dem Motto vorgingen „Ach, es wird schon gut gehen“? Die haben laut Campos Nave ihre Augen bewusst vor Tatsachen verschlossen. Sie könnten sich mit dem Vorwurf des Subventionsbetrugs konfrontiert sehen. Der steht dann im Raum, wenn der Antragsteller bei der zuständigen Behörde unrichtige oder unvollständige Angaben macht und die Soforthilfe „entgegen der Verwendungsbeschränkung verwendet“. Das wird mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe oder einer Geldstrafe bestraft.
Ein besonders schwerer Fall liegt etwa vor, wenn jemand mithilfe gefälschter Belege die Subvention erlangt. Dann drohen Freiheitsstrafen zwischen sechs Monaten und zehn Jahren.
Wie aber sollten sich Unternehmer verhalten, die unsicher sind, ob sie im Antrag einen Fehler gemacht haben? „Wir haben mit einigen zu tun, die aus Angst das Geld schon zurückgezahlt haben“, berichtet Ralf Klein. „Davon raten wir ab.“ Das Geld sei dann weg, selbst wenn sich herausstellen sollte, dass alles seine Richtigkeit hatte. Einfach kommentarlos zu überweisen, hält auch Campos Nave nicht für den besten Weg.
Ralf Klein empfiehlt abzuwarten, wie Bund und Länder oder die Gerichte entscheiden werden. Der Steuerexperte ist sich sicher, dass es zu Prozessen kommen wird: „Weil diese Vorgaben, die NRW und andere Länder gemacht haben, nicht klar genug formuliert waren.“ Campos Nave hält Abwarten nicht unbedingt für die klügste Taktik. Sie könne aufgehen. „Aber als Unternehmer muss ich mich fragen: Bin ich zu diesem Risiko bereit? Kann ich gut mit dieser Unsicherheit schlafen?“, fragt die Juristin.
Wer ahne oder sicher sei, dass er zu viel bekommen oder unrichtige Angaben gemacht habe, solle besser einen Rechtsanwalt einschalten, rät Campos Nave. Dieser könne aktiv auf die Behörden zugehen. Der Vorteil: Die Behörde müsse nicht unnötig ermitteln. Das spare staatliche Ressourcen. Komme es zu einem Prozess, wirke sich so ein „Nachtatverhalten“ positiv auf das Strafmaß aus.
Wichtig dabei sei: nicht zu lange warten. So warnt etwa das Land Baden-Württemberg ausdrücklich vor schuldhaftem Zögern. Was damit gemeint ist? Laut Campos Nave müssen Soforthilfe-Empfänger darlegen können, dass sie in dem Moment, in dem Zweifel aufkamen, sich an einen Rechtsanwalt oder die zuständige Behörde wandten. Wer erst mal in den Urlaub fährt, zögert schuldhaft und muss mit Strafen rechnen.
„Es ist schade, dass nicht von Beginn an Experten beim Antrag behilflich sein mussten. Dann wäre vieles wahrscheinlich nicht passiert“, sagt Campos Nave. Was das betrifft, hat die Bundesregierung beim Überbrückungsgeld nachgebessert.
Nachdem die Corona-Soforthilfe am 31. Mai ausgelaufen war, bot die Bundesregierung für Juni bis August das Überbrückungsgeld an. Antragsfrist: bis 30. September 2020. In einem zehnseitigen Eckpunktepapier legte der Bund die Kriterien fest: Beantragen können es Solo-Selbstständige, Freiberufler und (gemeinnützige) Unternehmen, deren Umsätze im April und Mai aufgrund der Coronakrise „zusammengenommen um mindestens 60 Prozent gegenüber April und Mai 2019 eingebrochen sind“. Unternehmen, die nach April 2019 gegründet wurden, dürfen November und Dezember 2019 zum Vergleich heranziehen. Die Antragsteller dürfen sich nicht bereits am 31. Dezember 2019 in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befunden haben. Wie hoch die Hilfssumme ausfällt, hängt vom Umsatzeinbruch ab.
Kurz vor Ablauf der Antragsfrist kündigte die Bundesregierung am 18. September an, das Überbrückungsgeld zu verlängern, auszuweiten und zu vereinfachen. Die wichtigsten Änderungen:
Auch die Fördersätze erhöhte die Bundesregierung. Sie erstattet künftig:
Wer zu viel Überbrückungsgeld bekommen oder bis August das Unternehmen aufgegeben hat, muss zurückzahlen. Da ließ der Bund keine Zweifel offen. Um Rückzahlungen vorzubeugen, muss das Überbrückungsgeld ein „prüfender Dritter“ (Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer) beantragen. Das Verfahren besteht aus zwei Stufen: In der ersten müssen Unternehmen mithilfe ihres Steuerberaters oder Wirtschaftsprüfers abschätzen, wie hoch ihre Umsatzeinbußen und Fixkosten sind. Diese Prognosen übermitteln Letztere an die Bewilligungsstelle. In der zweiten Stufe müssen die prüfenden Dritten die tatsächlichen Zahlen bis zum 31. Dezember 2021 an die zuständige Behörde übermitteln. Stellt sich heraus, dass jemand mit seiner Prognose falschlag und zu viel bekommen hat, muss er das Geld zurückzahlen.
Mit der Verlängerung des Überbrückungsgeldes kündigte die Bundesregierung zudem an, dass bei der Schlussabrechnung künftig nicht nur Rückforderungen, sondern auch Nachzahlungen möglich seien. Das heißt: Stellt sich bei Stufe zwei heraus, dass jemand noch höhere Einbrüche und Fixkosten hatte, als zunächst angenommen, bekommt er im Nachhinein eine entsprechende Fördersumme.
Die Überbrückungshilfe deckt private Lebenskosten wie Miete, Krankenversicherung oder Lebensmittel nicht ab. Darum vereinfachte die Bundesregierung für Kleinunternehmer, Freiberufler und Solo-Selbstständige den Zugang zur Grundsicherung. Für Alleinstehende sind das monatlich 432 Euro (plus Kosten für Miete, Neben- und Heizkosten.) Ihre Selbstständigkeit müssen sie dafür nicht aufgeben. Antragsfrist ist der 31. Dezember 2020.
Vereinfacht ist der Zugang, weil die Antragsteller für die Dauer von sechs Monaten ihr Vermögen nicht überprüfen lassen müssen – sofern sie kein „erhebliches Vermögen“ haben. Aber was ist erheblich? Laut Bundesarbeitsministerium ist das der Fall, wenn jemand beispielsweise allein lebt und über Bargeld, Girokonten, Sparbücher oder Schmuck im Wert von 60.000 Euro und mehr verfüge. Die Antragsteller müssen lediglich in ihrem Antrag versichern, dass sie nicht über ein solches erhebliches Vermögen verfügen. Eine weitere Prüfung findet im Rahmen der Vereinfachung für die ersten sechs Monate nicht statt.
In der Regel gibt es keine Rückzahlungsforderung. Eine Überprüfung findet im Nachhinein nur statt, wenn der Leistungsbezieher einen Antrag stellt. Anders sieht es bei Falschangaben aus. Habe jemand etwa in seinem Antrag bewusst noch offene Rechnungen bei seiner Einkommensprognose verschwiegen, sei die Bewilligung von Anfang an rechtswidrig, heißt es seitens der Arbeitsagentur. Antragsteller seien zudem verpflichtet, Änderungen unaufgefordert und ohne schuldhaftes Zögern mitzuteilen.