Siehe auch unten:
Assange Anhörung: Beobachtungen
von unserem Geschäftsführer
Christian Mihr
Die Vorwürfe der USA gegen Assange stützen sich auf 17 Anklagepunkte aus dem sogenannten Espionage Act (Gesetz gegen Spionage von 1917). Ein weiterer betrifft das Gesetz gegen Computerbetrug und –missbrauch. Hintergrund sind die Wikileaks-Publikationen aus den Jahren 2010 und 2011, in denen die Plattform hunderttausende militärische und diplomatische Papiere der USA veröffentlichte, die sie von Chelsea Manning erhalten hatte. Die Strafe für all diese Vorwürfe könnte sich auf bis zu 175 Jahre Haft summieren. Die geleakten Papiere hatten eine umfangreiche Medienberichterstattung über Themen von großem öffentlichem Interesse ermöglicht, darunter Berichte über das Fehlverhalten der USA in Guantanamo, im Irak und in Afghanistan.
Im Zuge der Anhörung wurde mehrfach deutlich, dass die USA keine
Beweise dafür haben, dass Julian Assange Quellen „ernsthaft und unmittelbar“ gefährdet hat, aber ihre Anklage dennoch auf der Grundlage der von ihm vermeintlich wissentlich verursachten Risiken
weiterführen. An einem Punkt der Anhörung behaupteten die US-Vertreter, dass die Veröffentlichung der brisanten Papiere zum Verschwinden einiger Quellen geführt habe, präsentierten allerdings auch
dafür keine Belege. Die Anwälte argumentierten, Assange habe die Verteidigung und die Geheimdienste der USA sowie deren Interessen im Ausland gefährdet.
Assanges Anwälte bezeichneten die US-Vorwürfe demgegenüber als Verfahrensmissbrauch, da diese ausschließlich auf politischen Motiven basierten. Fakten würden grundlegend falsch dargestellt. Sie
erläuterten, dass Wikileaks monatelang mit mehreren großen Medien zusammengearbeitet habe, um die Dokumente zunächst redaktionell zu bearbeiten und nur redaktionell bearbeitet zu veröffentlichen: Das
bestätigend brachten Assanges Anwälte schriftliche Zeugenaussagen unter anderem vom damaligen „Der Spiegel“-Redakteur John Goetz, dem „Freitag“-Herausgeber Jakob
Augstein und dem deutschen Informatik-Professor Christian Grothoff in das Verfahren ein. Erst einer der Medienpartner habe im Zuge der Aufarbeitung ein Buch veröffentlicht, das das
Passwort zu dem unredigierten Datensatz enthielt, erklärten Assanges Anwälte. Nur das habe letztendlich dazu geführt, dass Dritte Zugang erhielten und die unbearbeiteten Dokumente im Ganzen
veröffentlichen konnten. Assanges Prozessbevollmächtigte erläuterten, wie er versucht habe, jedes Risiko für die Quellen zu minimieren, indem er das Weiße Haus und das Außenministerium darüber
informierte, dass eine Veröffentlichung außerhalb der Kontrolle von Wikileaks möglicherweise bevorstehe und dass er sie angefleht habe, Maßnahmen zum Schutz der genannten Personen zu
ergreifen.
„Die Argumentationslinie der USA überrascht nicht. Es gibt keinerlei
Beweise für die Vorwürfe gegen Julian Assange. Der Verlauf dieser Anhörung zeigt, dass Assange nur deshalb verfolgt wird, weil er Informationen von großem öffentlichem Interesse für weitergehende
Medienrecherchen verfügbar gemacht hat“, sagte Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. „Wir fordern Großbritannien dazu auf, Julian Assange nicht an die USA auszuliefern, die
Vorwürfe gegen ihn fallenzulassen und ihn auf der Stelle freizulassen.“ RSF hat weltweit eine Petition für Julian Assange gestartet, die insgesamt schon
über 56.000 Menschen unterzeichnet haben.
Die Anwälte Assanges wiesen darauf hin, dass der bestehende Auslieferungsvertrag zwischen den USA und Großbritannien die Auslieferung aufgrund politischer Delikte ausdrücklich verbiete. Vor diesem
Hintergrund argumentierten sie, dass der australische Staatsbürger Assange auch durch innerstaatliches britisches Recht geschützt sei. Der Rechtsschutz vor politischer Verfolgung sei ein Eckpfeiler
der britischen Gesetzgebung und sei in der Magna Carta verankert. Überdies, so Assanges Prozessbevollmächtigte, sei der Assange zustehende Schutz vor politischer Verfolgung auch durch internationale
Verträge geregelt wie das Europäische Auslieferungsübereinkommen, sowie die Interpol-Konvention über Auslieferung sowie einen entsprechenden Vertrag der Vereinten Nationen.
Demgegenüber argumentierten die USA, dass das Auslieferungsgesetz von 2003 keine Auslieferung aufgrund politischer Vergehen ausschließe. Zudem könnten Assanges Handlungen nach englischem Recht nicht
als politisch interpretiert werden. Da der Auslieferungsvertrag zudem nicht vom Parlament ratifiziert worden sei, könnten daraus keine Rechte abgeleitet werden. Allerdings räumte der
US-Prozessbevollmächtigte Lewis an anderer Stelle ein, dass es andere Staaten durchaus überraschen könnte, wenn sie wüssten, dass Verträge bei ihrer Unterzeichnung durch die britische Regierung nur
sehr wenig bedeuteten; die parlamentarische Souveränität bedeute, dass Rechte nur im innerstaatlichen Kontext durchsetzbar seien, wenn sie vom Parlament ratifiziert würden.
Reporter ohne Grenzen ist weiterhin sehr besorgt um die Gesundheit
von Julian Assange. Während der gesamten Anhörung wirkte er blass und müde. Mehrmals beklagte er sich, dass er der Anhörung nicht gut folgen und aus dem Glaskasten heraus nicht mit seinen Anwälten
kommunizieren konnte. Am zweiten Tag der Anhörung sagte einer seiner Anwälte, Assange sei am Vortag im Gefängnis misshandelt worden. Er wurde demnach zweimal einer Leibesvisitation unterzogen, elf
Mal mit Handschellen gefesselt, fünf Mal in andere Zellen verlegt - ihm zustehende Prozessunterlagen seien beim Betreten und Verlassen des Gefängnisses beschlagnahmt worden. Die Richterin erklärte,
dass eine solche Beschwerde nicht in ihre Zuständigkeit falle. Am vierten Tag lehnte sie seinen Antrag ab, bei der Fortsetzung der Anhörung im Mai mit seinen Anwälten im Gerichtssaal sitzen zu
dürfen, obwohl sogar die US-Prozessbevollmächtigten keine Einwände dagegen hatten.
„Wir machen uns große Sorgen um Julian Assange. Es ging ihm ganz offensichtlich nicht gut, und er hatte Schwierigkeiten, seiner eigenen Anhörung zu folgen“, sagte Christian Mihr, Geschäftsführer von
Reporter ohne Grenzen, nach Abschluss der viertägigen Anhörung. „Die Berichte über seine Misshandlung sind alarmierend und wir fordern, dass dies umgehend aufhört. Außerdem muss es Assange erlaubt
sein, neben seinen Anwälten zu sitzen, so wie dies internationaler Standard ist. Er gehört nicht in einen Glaskasten wie ein Gewalttäter. Julian Assange ist für niemand eine Bedrohung. Seine Rechte
müssen respektiert werden.”
In den kommenden Wochen wird es nun zwei weitere kurze Anhörungen
geben, bei denen es jeweils um verfahrensrechtliche Fragen geht: eine verpflichtende Anhörung am 25. März vor dem Westminster Magistrates' Court, an der Assange per Video teilnehmen wird, und eine
Anhörung vor dem Woolwich Crown Court am 7. April, bei der unter anderem die Frage der Anonymität von zwei Zeugen erörtert wird. Assange wird an letzterer persönlich teilnehmen müssen. Es wird
erwartet, dass die Beweise ab dem 18. Mai drei Wochen lang im Woolwich Crown Court angehört werden. Auch die deutschen Journalisten John Goetz (damals Spiegel)
und Freitag-Herausgeber Jakob Augstein sowie der US-Botschafter in Deutschland Richard Grenell könnten dann vermutlich mündlich aussagen.
Reporter ohne Grenzen wird die Anhörungen weiter vor Ort beobachten.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit stehen die USA auf Platz 48 und Großbritannien auf Platz 33 von 180 Ländern.
Die Stellungnahme der US-Prozessbevollmächtigten finden Sie hier, die Stellungnahme von Assanges Anwälten hier.
Die RSF Petition für Julian Assange finden Sie hier.
Reporter ohne Grenzen e.V.
Jennifer Schiementz (Pressereferat)
Postfach 304108
10756 Berlin
Deutschland
+49 30 60989533-55
presse@reporter-ohne-grenzen.de
www.reporter-ohne-grenzen.de/presse
Liebe Freundinnen und Freunde der
Pressefreiheit!
Vergangene Woche war ich in London, um dort in einem kleinen Gerichtssaal auf dem Gelände des Hochsicherheitsgefängnisses
Belmarsh die Anhörung über die mögliche Auslieferung des
Wikileaks-Gründers Julian Assange an die USA zu beobachten. Noch immer bin ich
über die Umstände der Anhörung schockiert. Denn Julian Assange wurde vorgeführt und behandelt wie ein schlimmer Gewalttäter. Während der ganzen Verhandlung saß er hinter einer Scheibe in einem Glaskasten, aus dem
heraus er nicht direkt mit seinen Anwälten kommunizieren konnte. Am zweiten Tag der Anhörung wurde bekannt, dass Julian Assange am Vortag im Gefängnis offenbar misshandelt worden
ist: Er wurde zweimal einer Leibesvisitation unterzogen, elf Mal mit Handschellen gefesselt, fünf Mal in
andere Zellen verlegt - ihm verfahrensrechtlich zustehende Prozessunterlagen wurden beim Betreten und
Verlassen des Gefängnisses beschlagnahmt. Ich sorge mich auch um Julian Assanges Gesundheit, weil er während der gesamten Verhandlung blass und müde wirkte. Unverständlich ist nicht zuletzt, warum
die Anhörung angesichts dieses die Weltöffentlichkeit bewegenden Falls in einem kleinen Gerichtssaal mit nur 18 Sitzplätzen für Prozessbeobachter stattfand.
Im Zuge der Anhörung wurde mehrfach deutlich, dass die USA keine Beweise dafür haben, dass Julian Assange
Quellen „ernsthaft und unmittelbar“ gefährdet hat, aber ihre Anklage, in deren Rahmen ihm bis zu 175 Jahre Haft in den USA drohen, dennoch auf der Grundlage der von ihm vermeintlich wissentlich
verursachten Risiken weiterführen. Offenkundig wird Assange nur deshalb verfolgt, weil er Informationen
von großem öffentlichem Interesse für weitergehende Medienrecherchen verfügbar gemacht
hat.
Deshalb fordert Reporter ohne Grenzen (RSF) von Großbritannien seine Freilassung und von den USA, dass sie ihre Vorwürfe fallen lassen. Neben unserem
politischen Einsatz stehen wir von Reporter ohne Grenzen deshalb auch solidarisch an der Seite von Julian
Assange, seiner Familie und von Wikileaks: Nachrichtenredaktionen sind darauf angewiesen, dass ihnen als geheim
eingestufte Informationen zugespielt werden, um ihrer zentralen Rolle in der öffentlichen Meinungsbildung gerecht zu werden. Würde Julian Assange in die USA ausgeliefert, gar dort verurteilt, könnte
das Whistleblowerinnen und Whistleblower, Journalistinnen und Journalisten überall auf der Welt davon abhalten, für die Öffentlichkeit relevante geheime Vorgänge in US- und in anderen Behörden
aufzudecken.
Ich werde am 18. Mai, wenn die Anhörung in London fortgesetzt wird, wieder mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus anderen
RSF-Büros vor Ort im Gericht sein. Sie können unseren aus Spenden finanzierten Einsatz für Julian Assange unterstützen und sich auch selber für Julian Assange stark
machen, indem Sie unsere Petition unterzeichnen.
Herzliche Grüße und vielen Dank
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