Angesichts der weltweiten Diskussion über den Nutzen von Apps zum
digitalen Tracking von Coronavirus-Infizierten und deren Kontaktpersonen hat RSF ebenso wie andere Bürgerrechtsorganisationen und die Menschenrechtsbeauftragten internationaler
Organisationen die teils erheblichen Einschnitte solcher Lösungen in Grund- und Menschenrechte
kritisiert. Zentral ist dabei aus der Perspektive der Pressefreiheit die Frage, inwieweit entsprechende Apps Anonymität und journalistischen Quellenschutz
gewährleisten.
In Deutschland lautete ein erster Vorschlag, die Abfrage von Funkzellen-Daten zum Corona-Tracking im mittlerweile beschlossenen „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von
nationaler Tragweite“ festzuschreiben. Dieser Vorstoß scheiterte an heftiger Kritik sowohl an der mangelnden Zweckmäßigkeit dieses Ansatzes als auch an seiner Unvereinbarkeit mit Datenschutz und Grundrechten.
Inzwischen gibt es mehrere alternative Vorschläge, die auf der Nutzung der Bluetooth-Technologie von Smartphones basieren. Auch wenn viele Details noch offen sind, lassen sich aus der aktuellen Debatte und aus dem, was über die wichtigsten Lösungsansätze bekannt ist, einige Mindestanforderungen an eine Corona-Tracking-App ableiten:
Die verschiedenen diskutierten Ansätze unterscheiden sich vor allem darin, was im Infektionsfall im Detail mit den Daten der Betroffenen passiert, sowie in der Handhabung der von der App erzeugten temporären IDs. Derzeit erscheinen Lösungen nach dem Vorbild Singapurs als mutmaßlich datenschutzfreundlichste Möglichkeit, Informationen über Kontakte infizierter Personen zu sammeln. Inwieweit eine Lösung diesen Anforderungen tatsächlich genügt, wird sich aber erst anhand ihrer konkreten Umsetzung beurteilen lassen.
Nach dem misslungenen ersten Vorstoß der Bundesregierung arbeitet
nun das Robert-Koch-Institut Berichten zufolge gemeinsam mit dem Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut an einer datenschutzfreundlicheren Variante einer App aus Singapur, die
Bürgerinnen und Bürger zum freiwilligen Teilen von Kontaktdaten ermutigen soll. Ein Verbund von Unternehmen und Forschungs-institutionen dieser beiden Institute arbeitet
laut Spiegel unter dem Titel "Pan-European Privacy Protecting Proximity Tracing" (Pepp-PT) bereits an einem europäischen Standard, der die Rahmenbedingungen für mögliche nationale Apps vorgeben soll.
Die Software-Lösung soll durch die Nutzung einer Technologie namens Bluetooth Low Energy Beacon eine effektive anonyme Ermittlung von Kontaktpersonen Erkrankter ermöglichen.
Diese Technologie erlaubt es Telefonen, die sich für eine Mindestdauer in der Nähe befinden, sich gegenseitig Identifikationsnummern zuzusenden, die für die spätere Ermittlung von Kontakten genutzt
werden können. Die dabei anfallenden Daten werden lokal auf den Telefonen gespeichert und müssen nur im Infektionsfall an einen zentralen Server gemeldet werden.
Ähnliche Vorschläge brachte vor einigen Tagen der von verschiedenen Innovations- und IT-Initiativen unter der Schirmherrschaft von Kanzleramtsminister Helge Braun veranstaltete Wir vs. Virus-Hackathon hervor. Auch die Juristen
Ulf Buermeyer und Matthias Bäcker sowie der Wirtschaftswissenschaftler Johannes Abeler sprachen sich in einem Gastbeitrag bei Netzpolitik.org für diese vergleichsweise datensparsame Technologie aus.
Tatsächlich sind Lösungen nach dem Vorbild Singapurs unter den derzeit diskutierten Varianten die datenschutzfreundlichste Möglichkeit, Informationen über Kontakte infizierter Personen zu sammeln.
Wie genau eine deutsche Pepp-PT-App funktionieren soll, ist noch nicht öffentlich bekannt. Ob die Technologie auch unter dem Aspekt des Schutzes journalistischer Quellen als sicher eingestuft werden
kann, lässt sich daher noch nicht abschließend bewerten.
Unabhängig von technischen Details unterstrich der Bundesbeauftragte für den Datenschutz Ulrich Kelber die Bedeutung einer auf Freiwilligkeit basierenden Lösung für
öffentliches Vertrauen und damit für die Akzeptanz und Wirksamkeit einer solchen App. Selbst die freiwillige Zustimmung zur Nutzung einer solchen App unterliegt in Krisenzeiten erheblichem sozialen
Druck und sollte die gesellschaftliche Verantwortung für die Wahrung von Privatsphäre und dem Schutz persönlichster Daten nicht auf einzelne Bürgerinnen und Bürger abwälzen.
Im Folgenden stellt Reporter ohne Grenzen einige mögliche Risiken und Mindestanforderungen der derzeit diskutierten Lösungen vor:
Bei allen derzeit diskutierten Vorschlägen sind es die Details, die
maßgeblich entscheiden, ob eine App den Quellenschutz gefährdet oder nicht. Allen Vorschlägen ist gemeinsam, dass Nutzerinnen und Nutzer eine App auf ihrem Smartphone installieren. Die App erzeugt
regelmäßig temporäre IDs und sendet diese über Bluetooth an benachbarte Smartphones. Empfängt die App eine temporäre ID, wird sie lokal auf dem Telefon verschlüsselt gespeichert. Erst wenn eine
Person als infiziert bestätigt ist, kann sie freiwillig die Liste der gesammelten temporären IDs auf einen zentralen Server hochladen.
Die Ansätze unterscheiden sich darin, was im Infektionsfall im Detail geschieht, sowie in der Handhabung der temporären IDs. Die TraceTogether-App aus Singapur verwendet zum Beispiel
das BlueTrace-Protokoll. In diesem Protokoll ist das Gesundheitsministerium von Singapur in der Lage die von Geräten ausgesendeten temporären IDs zu entschlüsseln und eindeutig einem Smartphone
zuzuordnen. Dass sich Nutzerinnen und Nutzer in Singapur für TraceTogether mit ihrer Telefonnummer registrieren, schafft weitreichende Überwachungsmöglichkeiten, sofern der Zugriff auf den privaten
Schlüssel des Gesundheitsministeriums nicht umfassend zum Beispiel gegenüber Strafverfolgungsbehörden geschützt ist.
Auf die Registrierung mit einer Telefonnummer soll in der europäischen Variante verzichtet werden. Stattdessen
würde auf einem zentralen Server ein sogenannter Push Token für jede Installation der App vorgehalten. Mithilfe des Push Tokens können betroffene Kontaktpersonen informiert werden, ohne auf
eine Telefonnummer zurückgreifen zu müssen.
Der zentrale Server muss für die Benachrichtigung von
Kontaktpersonen jedoch in der Lage sein, aus den temporären IDs die dazugehörigen Push Token zu bestimmen. Der Vorschlag von Ulf Buermeyer, Matthias Bäcker und Johannes Abeler sieht dafür vor,
dass die Geräte von Nutzerinnen und Nutzer ihre eigenen temporären IDs regelmäßig zu dem zentralen Server senden. So weiß der Server, welche temporäre ID zu welchem Push Token gehört.
Das könnte sich als Schwachpunkt erweisen: Wird einmal der Bezug einer temporären ID zu einer Person bekannt, so mutieren die anonymen Push Tokens zu einem eindeutig identifizierenden Merkmal. Ein
Bezug kann zum Beispiel über die IP-Adresse hergestellt werden, die sich mit dem Server verbindet. Ein Bezug ergibt sich aber auch durch ein persönliches Treffen. Wollte jemand gezielt einen Kontakt
zwischen zwei Personen – zum Beispiel zwischen einer Journalistin und ihrem mutmaßlichen Informanten – nachweisen, könnte die App dabei also hilfreich sein.
Unterschiedliche Gruppen arbeiten zurzeit an Lösungsvorschlägen für dieses Problem, zum Beispiel im Rahmen des Wir vs. Virus-Hackaton. Ob eine dieser Lösungen den Quellenschutz
gefährdet oder nicht, hängt maßgeblich von den Details der Implementierung ab. Diese müssen frühzeitig durch die Veröffentlichung des Quellcodes transparent dokumentiert
werden.
Bei Entwicklung unter Zeitdruck sind Sicherheitslücken oft
vorprogrammiert. Aktuell wird dies an der Corona-App der deutschen Telekom deutlich, die es Hackern trotz Verschlüsselung erlaubt, die von einer Ärztin oder einem Arzt
übermittelten Corona-Testergebnisse mitzulesen oder gar zu verfälschen. Umso
wichtiger ist es, dass so wenige Daten wie möglich und nur so viele wie unbedingt nötig gespeichert werden.
Um eine unabhängige Prüfung zu ermöglichen und das notwendige öffentliche Vertrauen zu stärken, muss die Implementierung von Beginn an als Open-Source-Software veröffentlicht werden. Dies trifft
genau so auf Änderungen an der App durch Software-Updates zu. Nur so lässt sich eine Bewertung und Diskussion durch unabhängige Expertinnen und Experten gewährleisten.
Ebenso müssen die gesammelten Daten strikt vor jeder anderen Nutzung durch Geheimdienste, andere Behörden oder Unternehmen geschützt werden. Klar benannte Löschfristen müssen essenzieller Bestandteil
der Lösung sein. Dass auch sie keinen allumfassenden Schutz von Daten garantieren zeigte beispielsweise der Umgang der Berliner Polizei mit Daten aus ihrer zentralen Datenbank. Deshalb sollte die Einhaltung der festzulegenden Löschfristen und die tatsächliche Löschung der Daten durch eine unabhängige Stelle wie den Bundesdatenschutzbeauftragten überwacht
werden.
Ebenso fordert Reporter ohne Grenzen ein Verbot der Nutzung der durch Corona-Apps ausgestrahlten IDs zu anderen Zwecken als zur Aufklärung von Infektionsketten. Anbieter mit kommerziellen Interessen
verwenden schon heute Tracking-Geräte um anhand von Bluetooth und/oder WLAN-Signalen die Bewegungen von Kundinnen und Kunden in Geschäften und in der Öffentlichkeit zu verfolgen. Der Aufbau von
privaten Datenbanken mit temporären IDs ist ein Sicherheitsrisiko und muss in jedem Fall verhindert werden.
Auch denkbare Erweiterungen einer App, zum Beispiel zur Kontrolle oder Überprüfung von Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen, müssen kategorisch ausgeschlossen sein.
Unabhängig davon, wie Pepp-PT-basierte Apps am Ende im Detail funktionieren, ist davon auszugehen, dass sie mit Sicherheitsrisiken verbunden sein werden. Diese Risiken müssen sorgfältig und
transparent mit dem Nutzen der App abgewogen werden. Schon alleine das Aktivieren von Bluetooth stellt ein Sicherheitsrisiko dar; so gab es in den vergangenen Jahren mehrere Sicherheitslücken in
Bezug auf Bluetooth wie zum Beispiel die BlueFrag-Sicherheitslücke aus diesem Jahr. Durch diese Sicherheitslücke konnten Angreifer Telefone unbemerkt auslesen oder Malware installieren. Ob Schutzmaßnahmen wie die Verwendung eines zweiten Telefons nur für die Tracking-App geeignet sind, diese Risiken zu reduzieren, wird sich erst beurteilen lassen, wenn Details
veröffentlicht sind.
Deutschland steht auf Platz 13 von 180 Ländern auf der Rangliste der Pressefreiheit.