Klug scheitern: Wann Aufgeben
der beste Weg ist
Wer erfolgreich sein will, sollte nie aufgeben? Jein. Manchmal ist Aufgeben der klügste Weg. Mit den „3 Stufen des Scheiterns“ finden Sie heraus, wann es an der Zeit ist und was dann zu tun ist.
30 Absagen soll Stephen King für seinen Roman „Carrie“ kassiert haben, bevor ein Verlag das Buch herausbrachte. Es wurde ein weltweiter Bestseller, der erste von vielen. Hätte King nach Absage Nummer zehn aufgegeben, wer weiß, ob er heute so berühmt wäre.
Ist dies das Erfolgsrezept erfolgreicher Menschen: „Niemals aufgeben – egal, was passiert“? James Clear sagt nein. Der Autor des Bestsellers „Atomic Habits“ schreibt in seinem Blog: „Erfolgreiche Leute geben ständig auf.“ Sie spüren, wenn sie gescheitert sind. Wenn etwas nicht richtig funktioniere, halten sie nicht verbissen daran fest.
Allerdings sei auch Durchhaltevermögen enorm wichtig auf dem Weg zum Erfolg. Wer bei dem geringsten Widerstand aufgibt und die kleinste Hürde als zu anstrengend empfindet, wird niemals ans Ziel kommen.
Die Schlüsselfrage lautet Clear zufolge: Wie lässt sich herausfinden, wann man durchhalten sollte – und wann es Zeit ist, aufzugeben? Er empfiehlt, sich die folgenden drei Stufen des Scheiterns bewusst zu machen.
Man hat einen guten Plan, aber WIE man ihn umsetzt, ist falsch.
Was meint Clear damit? Er gibt ein Beispiel: Sam Carpenter kaufte 1984 in Oregon ein kleines, strauchelndes Unternehmen und nannte es Centratel. Es bot einen Telefon-Beantwortungs-Service für Ärzte, Veterinäre und andere Geschäfte an. Kunden und Patienten konnten dort rund um die Uhr anrufen. Carpenter hoffte damals, dass Centratel der beste Telefon-Beantwortungs-Service der USA werden würde.
Es kam zunächst anders. In einem Interview berichtete Carpenter 2012, dass er 80 bis 100 Stunden die Woche gearbeitet habe. Er sei ein Wrack gewesen. Irgendwann habe er bemerkt, woran es haperte: Centratel fehlte ein System. Jeder Mitarbeiter erledigte seine Arbeit auf seine eigene Art.
Die nächsten zwei Jahre protokollierte und überarbeitete Carpenter jeden Prozess im Unternehmen. Er schrieb zum Beispiel eine Neun-Schritte-Anleitung für die Beantwortung von Anrufen. So entstand nach und nach ein Handbuch, das jeder Mitarbeiter jederzeit zurate ziehen konnte. Carpenters Arbeitsbelastung sank rapide, weil jeder Mitarbeiter nun genau wusste, was zu tun war – ohne den Chef um Hilfe bitten zu müssen.
Carpenter hatte also eine klare Vision (der beste Telefon-Beantwortungs-Service werden), aber scheiterte beinahe daran, sie umzusetzen. Seine Taktik war falsch, er hatte einen WIE-Fehler gemacht. Er erkannte das und steuerte gegen. Hätte er einfach nur durchgehalten, wäre er vermutlich untergegangen.
Es gibt laut Clear drei Wege, auf einen WIE-Fehler zu reagieren:
Hier geht es um ein WAS-Problem: Man hat eine Vision vor Augen. Man hat Taktiken entwickelt, um sie zu erreichen, aber man arbeitet auf das falsche (Zwischen)-Ziel, auf das falsche WAS hin.
Was meint Clear damit konkret? Der Autor nennt Amazon als Beispiel. Jeff Bezos hatte einst eine klare Vision: Amazon sollte das kundenfreundlichste Unternehmen der Welt werden. 1999 wollte Bezos darum einen neuen Service anbieten. Mit Amazon Auctions wollte er Ebay Konkurrenz machen. Er trommelte Spezialisten zusammen, um die Auktionsseite innerhalb von drei Monaten hochzuziehen. Sechs Monate nach dem Launch war klar: die Seite war ein Reinfall. Ein paar Monate später versuchte Amazon es mit zShops. Auf der Plattform sollten Firmen und Privatleute Online-Shops eröffnen. Auch das war ein Flop. Bezos sah sein Scheitern ein – ließ aber nicht locker. 2000 wurde Amazon Marketplace gelauncht. Dieses Mal ging der Plan auf: Marketplace ist zu einer riesigen Einnahmequelle für das Unternehmen geworden.
In dem Moment, als Bezos merkte, dass seine Idee gescheitert war, schwenkte er sofort um. Doch an seiner Vision hielt er fest. Er tüftelte so lange am WAS, bis es auf seine Vision (kundenfreundlichstes Unternehmen) einzahlte. Hätte Bezos vehement an seiner ersten Idee festgehalten, wäre das nicht möglich gewesen.
Wie findet man heraus, ob die Strategie gescheitert ist? Clear gibt folgende Tipps:
Hier geht es um das WARUM-Problem. Es tritt auf, wenn das, was man tut, nicht im Einklang mit der eigenen Vision steht.
Was meint Clear damit konkret? Er verweist auf den verstorbenen amerikanischen Schriftsteller Ralph Waldo Emerson. Wie sein Vater studierte Emerson in Harvard und wurde Pfarrer. Doch Emerson merkte schnell, dass er mit den Lehren der Kirche nicht einverstanden war. Er hatte ein Warum-Problem: Warum mache ich das alles hier, wenn mir die Grundsätze der Kirche gegen den Strich gehen?
Schließlich warf er hin und reiste durch Europa. Er traf dort zeitgenössische Philosophen und Autoren. Begegnungen, die ihn inspirierten. Als er in die USA zurückkehrte, gründete er den Transcendental Club, eine Gruppe Intellektueller, die sich mit Philosophie, Kultur und Wissenschaft beschäftigte. Er verbrachte den Rest seines Lebens damit, Bücher zu schreiben, und wurde ein bis heute viel beachteter Autor.