Die Widerspruchslösung gilt in den meisten anderen europäischen Ländern. Sie ist mit dafür verantwortlich, dass dort die Wartezeiten auf postmortal gespendete Organe und die Fälle von Tod auf der Warteliste weit geringer sind als bei uns.
So argumentiert z.B. Ex-Bundesgesund-heitsminister Hermann Gröhe. Und er hat recht. Die Schlussfolgerung ist korrrekt. Zwar ist der Fall sehr hypothetisch, aber er könnte tatsächlich eintreten.
Die Frage ist nur: muss dieser Fall unbedingt verhindert werden? Besteht ein Recht darauf, dass der Mensch vor der Konsequenz seines eigenen Versäumnisses, den Widerspruch anzumelden, geschützt wird? Für wie mündig (oder unmündig) darf eine Gesellschaft (die Regierung, ein Minister Gröhe) ihre Mitbürger halten? Wie wichtig ist jemandem sein Nein zur eigenen postmortalen Organspende, wenn er die Möglichkeit, diese Haltung zu bekunden, nicht nutzt? Welche Rolle müssen bei diesen Abwägungen die durch die Widerspruchs-lösung vermiedenen Toten auf der Warteliste spielen?
Die geretteten Menschenleben auf der Warteliste sind ein entscheidendes Argument. Dagegen hat die Vermeidung eines Falles wie oben beschrieben – äußerst selten, hypothetisch, spitzfindig und von jedem Menschen durch eigenes Handeln verhinderbar – ethisch kaum Gewicht.
Die Widerspruchslösung gilt zwar in den meisten Ländern Europas, aber das besagt noch nicht, dass sie in Deutschland durchsetzbar ist. Wir versuchen, bei der Durchsetzung mitzuhelfen. Aber man muss auch über Alternativen nachdenken.
Eine mögliche Alternative besteht in der Weiterentwicklung der geltenden Entscheidungslösung, und zwar so, dass der jetzige Spenderausweis – in Form einer Scheckkarte aus Papier oder Plastik – ersetzt wird durch die elektronische Registrierung der Bürger, die zur postmortalen Organspende bereit sind. Zugriff auf diese Datenbank hätten nur Not- und Krankenhausärzte. Die Vorteile wären:
Die Fachwelt ist sich einig: ein wichtiger Grund für den in Deutschland besonders starken Organmangel liegt darin, dass die Krankenhäuser ihre Möglichkeiten bei weitem nicht ausnutzen. Es geht darum, diejenigen Verstorbenen zu identifizieren, die einer Organspende zugestimmt haben. An dieser Identifizierung hapert es. Das heißt: Viele Menschen werden ohne Organentnahme bestattet, obwohl sie einer Organspende zugestimmt haben oder zustimmen würden.
Das wiederum hat viele Gründe, die u.a. die Organisation der Abläufe im Krankenhaus, die Finanzierung des Krankenhauses, die Motivation und die Arbeitsbelastung der Mitarbeiter betreffen.
Im Gespräch mit den Hinterbliebenen herauszufinden, ob eine Zustimmung vorliegt oder nicht (denn eine Spenderkarte fehlt meistens), ist für das Krankenhauspersonal zeitaufwendig und auch psychisch belastend (noch mehr natürlich für die Hinterbliebenen).
Dazu kommt dann der Engpass der Feststellung des Hirntods. Um diese Feststellung vorschriftsgemäß durchführen zu können, müssen speziell ausgebildete Fachärzte in der Klinik verfügbar sein, und zwar mindestens zwei, die unabhängig von einander die Diagnose – Hirntod oder nicht – stellen.
Eine besonders wichtige Rolle spielen dabei die Transplantationsbeauftragten der Krankenhäuser. Die meisten von ihnen müssen die damit verbundenen Aufgaben zusätzlich zu ihren sonstigen Pflichten erledigen.
Erst allmählich haben einige Bundesländer (z.B. Bayern und Hamburg) die rechtlichen und finanzielllen Voraussetzungen geschaffen, dass die Transplantationsbeauftragten sich voll der Aufgabe, nach der sie ihren Namen tragen, widmen können. Das bedeutet in der Praxis u.a., dass manche Transplantations-beauftragte für mehrere Krankenhäuser zuständig sein werden.
Auch in Bayern und Hamburg wird die Wirkung der verbesserten Stellung der Transplantationsbeauftragten erst allmählich eintreten – ganz zu schweigen von den anderen Bundesländern.
Der Verein Gegen den Tod auf der Organ-Warteliste e.V. wird zwar von vielen Medizinern und speziell auch Transplantationsärzten unterstützt. Der Verein will sich aber nicht in die medizinisch-technische und administrative Diskussion auf der Krankenhausebene einmischen. Es geht uns um das Grundsätzliche, um eine Reform der Regeln.
Für die postmortale Organspende ist in Deutschland vorgeschrieben, dass der sog. Hirntod des Verstorbenen nachgewiesen wurde. In den meisten anderen europäischen Ländern ist dagegen auch der Stillstand von Herz und Kreislauf ein anerkanntes Kriterium zur Entnahme von Organen.
Die engere Regel in Deutschland ist für die Patienten hierzulande, die sowieso schon unter dem besonders großen Mangel an postmortalen Organen leiden, zusätzlich nachteilig. Denn es kommt vor, dass im Rahmen von Eurotransplant ein Organ aus den Niederlanden für einen Patienten in Deutschland vorgesehen ist – z.B. weil es von der Blutgruppe her besonders gut passt.
Aber zu früh gefreut: Leider ist das Organ in den Niederlanden nach der dort akzeptierten Regel des Herz-Kreislauf-Stillstands entnommen worden – und kommt für den Patienten in Deutschland daher selbstverständlich nicht in Frage. Denn Prinzipien stehen ja über der Lebensrettung.
Nach Gesprächen mit Fachleuten haben wir den von uns ursprünglich verfolgten Weg aufgegeben, nämlich das enge Kriterium des Hirntods als solches nicht anzugreifen, sondern nur zu fordern, dass die oben am Beispiel beschriebene Folge nicht eintritt. Aber wir mussten einsehen, dass dieser Weg wohl nicht gangbar ist, denn er ist unlogisch und inkonsequent.
Also: Wenn schon, denn schon. Daher fordern wir, dass auch in Deutschland als zusätzliches Kriterium zum Hirntod auch der Stillstand von Herz und Kreislauf eine Organentnahme ermöglicht.
Auch in Deutschland, wie schon längst in vielen anderen Ländern geregelt, muss der Stillstand von Herz und Kreislauf als zusätzliches Kriterium neben dem Hirntod die Entnahme von Organen ermöglichen.
Aufgrund der langen Wartezeiten auf eine Niere eines Verstorbenen sind manche Menschen bereit, ihrem (Ehe-)Partner schon zu Lebzeiten eine Niere zu spenden. Das ist aber manchmal aus medizinischen Gründen nicht möglich oder nicht ratsam.
Bei unterschiedlichen Blutgruppen kommt es zu besonders starken Abstoßungsreaktionen des aufnehmenden Körpers. Diese können zwar durch entsprechend höhere Dosen von Immunsuppressiva überwunden werden – was aber mit anderen nachteiligen Folgen für den Empfänger des Transplantats verbunden ist.
Dieses Problem – ein Partner ist bereit ein Organ zu spenden, die Bereitschaft kann aber aus medizinischen Gründen nicht oder nur mit nachteiligen Folgen realisiert werden – kann durch eine Überkreuzspende gelindert oder ganz beseitigt werden. Dabei bedeutet Überkreuzspende, dass zwei geeignete Paare spenden und empfangen. Der spendebereite Partner des Paares A spendet an den Organpatienten des Paares B, und der spendebereite Partner des Paares B spendet an den Organpatienten des Paares A. (Grundsätzlich ist auch der Austausch zwischen drei und mehr Paaren denkbar.)
Ziel ist, dass die Paare so ausgesucht werden, dass die beiden Organspenden möglichst wenig Abstoßungsreaktionen hervorrufen. Das ist am ehesten erreichbar durch ein großes Register, in dem die spendewilligen Paare verzeichnet sind. Ein Algorithmus müsste aus den Einträgen dieser Datei permanent die jeweils optimalen Verbindungen zwischen zwei Paaren herausfinden.
Bevor es zu Organentnahmen und -spenden kommen kann, müssten sich die Paare kennenlernen und sich auch persönlich nahe kommen, wie es gesetzliche Vorschrift bei Lebendorganspenden ist.