Hallo ,
"EU-Parlament stimmt gegen die Ampelkennzeichnung – Abgeordnete beugen sich massivem Lobbydruck der Industrie“. So lautete die Überschrift eines unserer Newsletter vor fast genau zehn Jahren, mit dem
wir über ein enttäuschendes Votum aus Brüssel informierten. Unser Kampf war verloren, uns so viele Menschen hatten sich damals ein anderes Ergebnis erhofft. „Die Ampel ist tot“, hatte da bereits der
Lobbyverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft vor der sich abzeichnenden Entscheidung gegen verbraucherfreundliche Nährwertangaben triumphiert.
Jetzt, fast genau zehn Jahre (!) später, können wir Verbraucherinnen und Verbraucher uns freuen. Denn die Ampel lebt – und sie kommt,
ganz bald und auch in Ihren Supermarkt! Der so genannte NutriScore, die in Frankreich entwickelte Ampelkennzeichnung, bewertet Produkte auf einer Skala von A (für ausgewogene Produkte) bis E (für
eher ungesunde Produkte). Hinterlegt mit den Ampelfarben Grün-Gelb-Rot ermöglicht die Kennzeichnung den schnellen Vergleich zwischen Lebensmitteln einer Kategorie. Das zeigt, unser langer Atem und
gemeinsamer Einsatz hat sich gelohnt!
Studien und Erfahrungen etwa
in Frankreich beweisen schon jetzt: Die
NutriScore-Ampel hilft Menschen, die gesündere Wahl zu treffen, gibt Herstellern endlich einen Anreiz, Rezepturen ausgewogener zu gestalten – und sie kann auf einen Blick entlarven, wenn eine
Zuckerbombe als Fitnessprodukt vermarktet wird. Auch deshalb ist der NutriScore jene Kennzeichnung, die die Lebensmittelindustrie mit aller Macht verhindern wollte. Es ist wohl das erste Mal
überhaupt, dass sich in Deutschland eine verbraucherfreundliche und von unabhängigen Wissenschaftlern entwickelte Kennzeichnung durchsetzt, gegen den Willen der Lebensmittellobby.
Als vor mehr als zehn Jahren erstmals eine Ampelkennzeichnung – damals nach einem britischen Modell – „drohte“, mobilisierten die großen
Konzerne alle Kräfte. Als noch recht junge und damals nur in Deutschland aktive Organisation reisten wir seinerzeit zu einzelnen Gesprächen nach Brüssel. Ich erinnere mich gut: Wo wir auch hinkamen –
die Ampel-Gegner von Industrieverbänden, Coca Cola & Co. waren bereits da, hatten Lobbystände sogar mitten im Gebäude des Europaparlaments (!) aufgebaut. Am Ende hatten sie
EU-weit eine Milliarde Euro investiert, um ihr
eigenes Kennzeichnungsmodell durchzusetzen und damit die Ampel zu verhindern. Eines konnten sie nicht abwehren: 2010 führte die EU erstmals überhaupt eine verpflichtende Angabe für den Gehalt von
Zucker, Fett, Salz & Co. in Form der bekannten Nährwerttabellen im Kleingedruckten ein – bis dahin blieben selbst diese Angaben meist geheim. Ohne den Druck der Ampel-Diskussion wäre das wohl
nicht gelungen.
Wir haben unseren Einsatz für eine Ampelkennzeichnung auf der Verpackungsvorderseite in all den Jahren fortgeführt – entsprechend groß
ist unsere Freunde, wenn nun der NutriScore Einzug in die Supermärkte hält! Denn auch diesmal haben die Industrielobby um den Lebensmittelverband Deutschland und Ernährungsministerin Julia Klöckner
alles versucht, eine ampelfarbige Kennzeichnung zu verhindern. Beide entwickelten Gegen-Modelle, das Ministerium ließ eine den
NutriScore empfehlende Studie umschreiben – wenig blieb unversucht. Doch
nachdem auch große Unternehmen wie Danone, Iglo und Nestlé das Hickhack beenden und auf den NutriScore setzen wollten, weil in allen seriösen Studien und Umfragen der NutriScore als verständlichstes
System hervorging, musste Julia Klöckner ihren Widerstand Ende 2019 schließlich aufgeben. Der Weg war frei.
Ende gut, alles gut? Leider (noch) nicht, liebe Leserinnen und Leser. Denn der Kampf um die Ampel geht weiter:
- Vor zehn Jahren, bei der Abstimmung im Europaparlament, hat die Lebensmittelindustrie ihren wichtigsten Lobbyerfolg erzielt: Die
EU-Staaten dürfen eine Ampelkennzeichnung seither nicht verpflichtend einführen, sondern nur als freiwilliges Modell. Vorerst könnten also vor allem Hersteller den NutriScore auf ihre Packungen
drucken, die ohnehin vor allem ausgewogene Produkte anbieten. Damit die Kennzeichnung zum echten Erfolg wird, muss sie also verpflichtend für alle Lebensmittel werden – und das geht nur mit einer
neuen EU-Verordnung. Für die gibt es bisher keine Mehrheit.
- Der Lebensmittelverband Deutschland musste zwar akzeptieren, dass der NutriScore in Deutschland kommt – er versucht aber bereits, die
Berechnungsgrundlage für das Label zu verwässern, damit zum Beispiel zuckerhaltige
Getränke oder Wurstwaren besser bewertet werden als von den unabhängigen Wissenschaftlern empfohlen.
Wie unter dem Brennglas zeigt die Debatte, wie Lebensmittelpolitik funktioniert – und welchen Einfluss die Industrie auf eine banale
Kennzeichnung hat, die doch eigentlich für uns Verbraucherinnen und Verbraucher da sein sollte. So lange es gedauert hat, erst überhaupt Nährwertangaben und dann zumindest eine freiwillige Ampel zu
bekommen, so sehr wissen wir: Wir sind längst noch nicht am Ziel. Ich verspreche Ihnen: Wir bleiben dran und kämpfen weiter für eine Kennzeichnung, die sich an den Interessen der Menschen und nicht
an denen der Hersteller orientiert – ob es nun um Nährwerte, um Herkunftsangaben oder um Gentechnik geht. Und wenn es noch einmal zehn Jahre dauern sollte!
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