Kaja
Keller arbeitet als Rechtsanwältin für die Kanzlei Gansel Rechtsanwälte. Ihre Schwerpunkte liegen auf Arbeits-, Versicherungs- und Bankrecht.
Die Erkältung schwindet – und der Mitarbeiter will vorzeitig zurück in den Betrieb. Aber ist Arbeiten trotz Krankschreibung erlaubt? Und sind Arbeitnehmer dann versichert? Was Arbeitgeber wissen sollten.
Arbeitnehmer, die beim Arbeitgeber einen Krankenschein abgegeben haben, dürfen grundsätzlich trotzdem arbeiten. Denn der behandelnde Arzt erklärt mit einer Krankschreibung lediglich, dass der Arbeitnehmer im dem Moment arbeitsunfähig ist, in dem die Krankschreibung ausgestellt wird. Darüber hinaus gibt er mit der Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit nur eine Prognose ab, wie die Erkrankung voraussichtlich verläuft und wie lange sie wahrscheinlich dauert.
„Da aber jeder Mensch verschieden ist und der eine schneller oder langsamer gesund wird als der andere, beinhaltet eine Krankschreibung kein grundsätzliches Beschäftigungsverbot“, sagt Kaja Keller, Fachanwältin für Arbeitsrecht. Das heißt: Arbeitnehmer dürfen selbst entscheiden, wann sie sich gesund genug fühlen, um wieder arbeiten zu gehen.
Umgekehrt gilt: Auch wenn ein Krankenschein kein generelles Arbeitsverbot bedeutet, sind Arbeitnehmer nicht verpflichtet zu arbeiten, solange sie krankgeschrieben sind – selbst wenn sie mutmaßlich arbeitsfähig wären. Ein Chef darf nicht von Beschäftigten verlangen, trotz Krankschreibung zu arbeiten.
Arbeitgeber haben eine Fürsorgepflicht. Möchte ein Arbeitnehmer trotz Krankschreibung arbeiten, bedeutet das für den Arbeitgeber zweierlei: Er muss sicherstellen, dass der Arbeitnehmer wirklich einsatzfähig ist und sich nicht selbst gefährdet – und außerdem dafür sorgen, dass dieser keine anderen Menschen in Gefahr bringt.
Der Fürsorgepflicht hierbei nachzukommen, ist Expertin Keller zufolge nicht immer einfach. Denn Arbeitnehmer müssen dem Arbeitgeber weder mitteilen, wegen welcher Diagnose sie gefehlt haben. Noch ihm erklären, wie sich die Symptome gebessert haben – und inwieweit die Arbeitsaufnahme trotz Krankschreibung tatsächlich wieder möglich ist.
„Arbeitgeber sollten einfach ihrem gesunden Menschenverstand folgen, wenn sie den Gesundheitszustand von Beschäftigten einschätzen müssen“, rät Keller. Konkret: Wankt ein Mitarbeiter eher in die Produktionshalle, als dass er läuft, ist offenbar, dass die Krankheit andauert – und der Arbeitnehmer nicht in der Lage sein wird, seine volle Arbeitsleistung zu erbringen. Dann sollte der Arbeitgeber den Angestellten nach Hause schicken.
Sehe der Mitarbeiter dagegen gesund aus, könne man ihn arbeiten lassen. Denn: „Wenn sich am äußerlichen Zustand nicht erkennen lässt, dass jemand noch krank ist, trägt der Arbeitgeber keine Verantwortung. Das liegt dann im Ermessen des Arbeitnehmers“, so Keller.
Arbeitnehmer müssen der Personalabteilung oder der direkten Führungskraft Bescheid geben, wenn sie trotz Krankschreibung wieder arbeitsfähig sind und auch arbeiten wollen – damit der Arbeitgeber wiederum seiner Pflicht nachkommen kann, dies der Krankenkasse zu melden.
Passiert das nicht, kann es zu einer so genannten Überzahlung kommen. Entweder auf Seiten des Arbeitnehmers, wenn dieser weiterhin Krankengeld bekommt, obwohl der Arbeitgeber ihm wieder den regulären Lohn bezahlt. Oder, bei kleinen Unternehmen, auch auf Seiten des Arbeitgebers. Denn: Unternehmen mit weniger als 31 Beschäftigten erhalten von der Krankenkasse eine Ausgleichszahlung, wenn ein Angestellter ausfällt – damit sie nicht zu stark unter der Lohnfortzahlung leiden. Kommt der Arbeitnehmer nun vorzeitig zurück und teilt es seiner Führungskraft nicht mit, erhält das Unternehmen die Ausgleichszahlung zu Unrecht.
Mehr zum Thema Entgeltfortzahlung hier: Lohnfortzahlung im Krankheitsfall: Wer bekommt wie viel?
Wichtig: Arbeitnehmer müssen laut Keller nur melden, dass sie wieder arbeiten – sonst nichts. Auch müsse dies nicht persönlich geschehen, es genüge etwa eine Mail, in der der Angestellte erklärt, wieder fit zu sein.
Anwältin Keller empfiehlt Arbeitgebern dennoch, nach Möglichkeit das Gespräch zu suchen. So könnten diese prüfen, ob der Arbeitnehmer zumindest äußerlich wieder fit ist – und auf diese Weise ihrer Fürsorgepflicht nachkommen.
Laut Paragraf 5 Entgeltfortzahlungsgesetz sind Arbeitnehmer verpflichtet, spätestens ab dem vierten Krankheitstag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen. Ihre Genesung nachweisen müssen sie dagegen nicht. „Entsprechend gibt es auch keine Gesundschreibung als offizielles Dokument. Zwar können Ärzte ein Attest mit diesem Inhalt ausstellen, doch sie müssen es nicht – und machen es wegen des zusätzlichen Aufwands häufig auch nicht“, erklärt Keller.
Für viele Arbeitgeber bleibt die Frage, was sie tun können, damit möglichst nur wirklich gesunde Arbeitnehmer zurück in den Betrieb kommen. Eine Variante: entsprechende Regelungen in den Arbeitsvertrag aufnehmen. „Das Wort ‚Gesundschreibung‘ dort auftauchen zu lassen, kann helfen, eine entsprechende Unternehmenskultur aufzubauen“, so Keller. Rechtlich haltbar sind solche Klauseln jedoch mehrheitlich nicht.
Generell gilt: Auch Schwangere dürfen trotz Krankenschein arbeiten. Dennoch empfiehlt Expertin Keller besondere Vorsicht im Umgang mit krankgeschriebenen Schwangeren. Diese sollten Arbeitgeber gar nicht arbeiten lassen, um jedes Risiko für das ungeborene Kind von vornherein auszuschließen.
Arbeiten Arbeitnehmer trotz Krankschreibung, gilt für sie der gleiche Versicherungsschutz wie für jeden anderen Arbeitnehmer auch. So greift beispielsweise die Unfallversicherung, wenn ein krankgeschriebener Angestellter auf dem Weg zur Arbeit stürzt, genauso wie bei einem Wegeunfall nicht krankgeschriebener Beschäftigter. „Wer arbeitet, der arbeitet – und hat damit alle Rechte und Ansprüche“, sagt Anwältin Keller.
Dass Angestellte, die trotz Krankschreibung arbeiten, sowohl kranken- als auch unfallversichert sind, regelt das Soziale Gesetzbuch. Die konkreten gesetzlichen Vorgaben finden sich etwa in Paragraf 5 im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) sowie in Paragraf 2 und Paragraf 8 im SGB VII.
In diesem Fall können Arbeitgeber die Arbeitnehmerin problemlos wieder arbeiten lassen. „Einzige Voraussetzung: Sie müssen dafür sorgen, dass sich das gesundheitliche Problem der Angestellten beim Arbeiten nicht verschlimmert“, sagt Anwältin Keller. Im Beispielfall ließe sich dies etwa über eine Fußschaukel gewährleisten, die es ermöglicht, den Fuß unterm Schreibtisch hochzulegen.
Situationen wie diese sind Keller zufolge Grenzfälle. Habe der Arbeitnehmer nicht viel Kontakt zu anderen Menschen – wie Kollegen oder Kunden –, könnte man ihn arbeiten lassen.
Hat der Angestellte im Arbeitsalltag dagegen mit vielen anderen zu tun, sollten Arbeitgeber ihn nach Hause schicken, rät Keller. Ebenso dann, wenn man als Chef mitbekommt, dass der Arbeitnehmer noch stark hustet oder niest. „Dann greift die Fürsorgepflicht doppelt – einmal für den kranken Arbeitnehmer selbst, zum anderen für die Kollegen, die nicht einer Ansteckungsgefahr ausgesetzt werden sollten“, so die Anwältin.
Auch aus betriebswirtschaftlichen Gründen sei es ratsam, in solchen Grenzfällen Mitarbeiter nicht arbeiten zu lassen. „Gerade bei Infekten kann schnell die ganze Abteilung krank werden. Da ist es die finanziell bessere Variante, auf einen Mitarbeiter länger zu verzichten oder ihn zumindest – falls möglich – zu Homeoffice zu verpflichten.“
Was Arbeitgeber bei Homeoffice beachten sollten: Homeoffice-Regelungen: Diese Regelungen gelten, wenn Mitarbeiter zuhause arbeiten
Wann immer krankgeschriebene Arbeitnehmer nicht richtig gesund wirken und sich oder andere gefährden könnten – etwa, weil sie Maschinen bedienen –, müssen Arbeitgeber ihnen das Arbeiten krankheitsbedingt verbieten. Selbst dann, wenn die Angestellten, beispielsweise aus Pflichtgefühl den Kollegen gegenüber, hartnäckig darauf bestehen, wieder einsatzfähig zu sein. „Zu diesem strikten Vorgehen rate ich immer dann, wenn Arbeitgeber mehr als nur einen Verdacht haben, dass es einem Arbeitnehmer noch nicht richtig gut geht“, so Anwältin Keller.
Ansonsten könnten sie im Extremfall schadensersatzpflichtig werden, sollte tatsächlich etwas passieren und offenbar werden, dass der Chef das Risiko wissentlich in Kauf genommen hat.
Weitere Regelungen zum Thema Krankmeldung, die Arbeitgeber kennen sollten: Krankmeldung: Die Rechte von Arbeitgebern, wenn Mitarbeiter krank sind